Interview mit Lena Braun

Lena Braun ist Yoga Lehrerin und Physiotherapeutin in München und hat sich mit ihrem Business ana.akazi [Chichewa: Kinder.Frauen] im Bereich der Neuroorthopädie spezialisiert. Sie bringt Yoga und Bewegung zu all jenen Menschen, die motorische Beeinträchtigung haben. Im Rahmen unseres Inclusivity Month Projekts möchten wir die Welt aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Brillen betrachten und freuen uns, gemeinsam mit Lena über ana.akazi und ihre Erfahrungen zu sprechen.  

Bild von Isabel Winckler

 1. Liebe Lena, erzähle uns doch einmal mit deinen Worten, worum es bei ana.akazi genau geht. Gab es einen bestimmten Moment, in dem Du wusstest, dass Du Dich gerne selbstständig machen möchtest?

ana.akazi soll Menschen Bewegung ermöglichen, ermutigen neue Bewegung auszuprobieren und einen Raum geben in denen Menschen zur Ruhe kommen. Die yogische Philosophie lebt davon, für alle Menschen zugänglich zu sein. Aber Yoga zeigt in Wirklichkeit viele Barrieren, weshalb manche Menschen keine Yoga Stunde besuchen. Für den Bereich der körperlichen, motorischen Barrieren möchte ich meine Expertise nutzen, um Bewegung in Form von Yoga und Mobility Übungen zugänglich zu gestalten. Bei ana.akazi findet Yoga in 1:1 Sessions oder Kleingruppen statt, in denen ich individuell Potentiale der Menschen unterstützen kann, um so neue positive Bewegungs- und Körpererfahrungen zu ermöglichen. Menschen mit Einschränkungen ermutigen neue Bewegung auszuprobieren, neue Erfahrungen zu sammeln und damit auch neuen Mut.

Ich denke nicht, dass es einen bestimmten Moment gab, an dem ich wusste, dass ich mir diese Selbständigkeit nebenbei aufbauen will. Ich habe viele Interessen, bei denen ich immer dachte, dass sie eigentlich gar nicht zusammenpassen. Die Yoga Ausbildung habe ich 2017 erstmal nur für mich gemacht. Nicht mit dem Ziel zu unterrichten, sondern um mehr über Yoga und die Philosophie dahinter zu verstehen. Irgendwann habe ich gemerkt, dass viele Aspekte der Bewegung und Atmung im Yoga sehr zu dem passen, was ich in der Therapie mache. Am Anfang war es eine große Mindmap aus Themen, die mich beschäftigen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Bausteine Yoga, Physiotherapie in der Neurologie/Pädiatrie und Entwicklungszusammenarbeit in einem Projekt vereinen kann. Ich denke es funktioniert nur, indem man beginnt seine eigenen Projekte, mit Themen die einen selbst beschäftigen zu starten. Es sollten Themen sein, in die man Energie und Kreativität stecken möchte. Das fühlt sich sehr gut an und es fühlt sich gut an, diesen Weg in kleinen Schritten zu gehen. Erstmal neben dem Angestellt sein, etwas aufzubauen nach deinen eigenen Vorstellungen. Ohne einen Druck von Einnahmen oder ähnlichen zu haben.

  1. Warum hast Du Dich dazu entschieden, deinen Fokus auf die Arbeit mit neurologisch eingeschränkte Menschen zu legen?

Wie schon erwähnt, bin ich der Meinung, dass die Yoga Welt nicht immer so inklusiv und einladend ist wie sie vielleicht gerne wäre. Durch meine Arbeit als Physiotherapeutin im Bereich der Neurologie, habe ich irgendwann die Parallelen zwischen der klassischen Therapie und Yoga gesehen. Für Menschen mit körperlichen Behinderungen bedeutet Bewegung Teilhabe am alltäglichen Leben. Die Bewegungsmöglichkeiten zu erhalten, bedeutet nicht auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Patient:innen mit neurologischen Erkrankungen (angeboren oder erworben) viel Zeit in therapeutische Maßnahmen stecken und am Ende trotzdem nicht das Gefühl haben etwas für sich zu tun. Viele Patient:innen führen die angeleiteten Übungen aus, ohne wirklich zu spüren was da in ihrem Körper passiert. Mit der Therapie ist immer ein gewisser Erwartungsdruck verbunden, von Seiten der Patient:innen und der Therapeut:innen. Yoga bietet einen geschützten Rahmen, einen Ort der Entspannung. Einen Ort, um auf der Matte nur für sich selbst zu sein und um Körper und Geist zu pflegen. Yoga ist nicht nur eine körperliche Praxis. Viele Patienten leiden unter Depressionen und Ängsten und müssen lernen mit diesen Gedanken umzugehen, ihren Körper zu akzeptieren und neues Vertrauen finden. Diese Themen sind oft Teil einer Yoga Stunde. Körperliche Grenzen zu akzeptieren, durch Atmung und Bewegung die Gedanken im Kopf zur Ruhe bringen. Eigene Potentiale spürbar machen, erkennen und auch annehmen. All dies sind Aspekte einer Yoga Einheit.

  1. Was macht deine Arbeit besonders?

Ich lerne von den Teilnehmer:innen ständig etwas neues. Es ist ein sehr kreatives arbeiten. Ich werfe Stundenkonzepte nach wenigen Minuten wieder um, weil ich evtl. merke, dass diese Art der Stunde nicht zur Person passt. Ich habe gelernt jede Asana zugänglich zu machen. Damit musste ich mich selbst nochmal vielmehr mit Yoga im Allgemeinen beschäftigen und den Kern einer Yoga Asana verstehen.

Ich habe gelernt, dass die Art wie Menschen sich fortbewegen (z.B. im Rollstuhl, mit Gehhilfen) nicht immer etwas damit zu tun haben muss, wie diese Person sich auf der Matte bewegen kann. Im Yoga kommt es darauf an sich auf die Stunde einzulassen, die Augen zu schließen und Bewegung auszuprobieren (angepasst an dein Potential). Es kommt darauf an sich mit der Atmung zu verbinden und alle anderen Gedanken, die nichts mit der Praxis zu tun haben weiterziehen zu lassen. Ob eine Person dazu in der Lage ist, sieht man von außen nicht und ist unabhängig davon ob eine Person körperlich eingeschränkt ist. Deshalb lerne ich immer wieder neu, Menschen nicht vorher zu beurteilen, sondern mich genauso auf eine Stunde einzulassen. Jede:r bringt eine andere Geschichte mit und es ist ein schönes Gefühl, zu einem positiven Körpergefühl beizutragen.

  1. Yoga ist heute für viele Menschen eine Praxis geworden, die weit über die Übungen hinausreicht. Was fasziniert Dich an Yoga?

Es fasziniert mich, dass Yoga so viel tiefer geht als „nur“ die körperliche Praxis. Es fasziniert mich, dass eine so alte Philosophie die Basis bildet und die Menschen schon damals das Bedürfnis hatten ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen. 60 oder 90 Minuten nur bei dir zu sein, ohne eine externe Ablenkung ist wirklich etwas Besonderes. Bewegung mit einer ruhigen Atmung zu verbinden, bringt deine Gedanken zu Ruhe, die sich evtl. den ganzen Tag immer wieder aufgedrängt haben. Es verdeutlicht dir, dass du selbst die Gedanken unter Kontrolle bringen kannst, dass du selbst verantwortlich bist.

Bei neuen, unbekannten Bewegungen geht es darum deine eigene Komfortzone zu verlassen. Damit hängt auch immer eng zusammen, nicht vorher zu bewerten ob du es evtl kannst oder nicht. Am Ende alte Denkmuster loszulassen und neue Ideen zuzulassen.

  1. Im Design Thinking gibt es einen Ansatz namens „Designing for extremes“, der besagt, dass extreme users also jene, die sich am Rande einer Herausforderung befinden, aufgrund ihrer besonderen Bedürfnisse auch einzigartige Erkenntnisse liefern können. Wenn man diese Erkenntnisse erforscht, erhöht man auch die Chance, eine innovativere oder sinnvollere Lösung zu finden.

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Inwieweit hat deine Arbeit mit motorisch beeinträchtigten Menschen, deine Art und Weise Yoga zu lehren und umzusetzen, verändert?

Es ging zu Beginn viel darum Yoga erstmal zu erfassen. Weg von dem was im Außen gezeigt wird, hin zu dem, was Yoga in der Grundessenz wirklich ist. Eine Yoga Asana aus den Aspekten Bewegung, Atmung und der energetischen Wirkung zu betrachten. Aus welchen Elementen besteht der Sonnengruß? Wie kann ich diese Bewegungen für Menschen im Rollstuhl zugänglich machen, so dass die energetische Wirkung dabei nicht verloren geht? Es hat mich viel dazu gebracht neu über Yoga nachzudenken. Darüber zu reflektieren, wie Yoga unterrichtet wird. Wie viele Barriere es eigentlich bietet. Nicht nur für Menschen mit körperlichen Einschränkungen, sondern oftmals auch z.B. finanzielle Barrieren.

Wenn ich Yoga unterrichte, hat jeder Mensch für mich eine Art körperliche Einschränkung. Jeder Mensch hat Bewegung, die er gerne macht und Bewegungen, die nie genutzt werden. Deshalb muss man auch für Menschen die „offiziell“ keine motorische Einschränkung haben, viele Asanas anpassen. Weil jeder Körper anders ist, weil jeder eine andere Komfortzone hat.

  1. Was sind (Gedanken-)Barrieren im Umgang mit motorisch eingeschränkten Menschen, die Du gerne aus der Welt schaffen würdest?

Eigentlich sind es genau diese Vorurteile von denen ich eben schon gesprochen habe. Nur weil ein Mensch im Rollstuhl sitzt oder sich anders bewegt als viele andere Menschen, spricht man dieser Person oft auch andere Fähigkeiten ab, die vielleicht gar nicht damit zu haben, dass er oder sie die Beine nicht bewegen kann. Menschen im Rollstuhl werden oftmals als sehr hilfsbedürftig eingestuft, ohne dass man Informationen über die Lebenssituation der Person hat.

Ich denke viele Gedankengänge und Barrieren kommen daher, dass oftmals wenig Erfahrung im Umgang mit Menschen mit körperlichen Einschränkungen gemacht wurde. Vielleicht weil es einfach nie dazu kam oder, weil die eigenen Ängste im Vordergrund stehen. Zum Beispiel Bedenken etwas Falsches zu sagen oder sich falsch zu verhalten.

  1. Was bedeutet Inklusion für Dich?

Inklusion bedeutet für mich, dass alle Menschen voneinander wissen. Es bedeutet nicht einfach Menschen zusammenzustecken. Es bedeutet beide Seiten aufzuklären, damit Verständnis vorhanden ist. Zum Beispiel Krankheiten zu erklären und Berührungsängste zu besprechen. Und zwar ehrlich und offen. Ich denke dann ist eine Basis geschaffen, um Sicherheit im Umgang miteinander zu geben. Ich bin der Meinung, dass vor allem der Sport viele Möglichkeiten bietet Inklusion umsetzen und Vorurteile abzubauen. Es sollte nichts Besonderes sein, Menschen mit Einschränkungen im Unternehmen Arbeitsmöglichkeiten zu bieten.

Außerdem frage ich mich oft, an welcher Stelle „Behinderung“ beginnt. Ein Mensch, der im Rollstuhl sitzt, seinen Alltag alleine bewältigt, hat evtl. viel weniger Beeinträchtigung als ein Mensch der mit Depressionen im Bett liegt, morgens nicht mehr aufstehen möchte und sich deshalb sozial zurückzieht. Von außen betrachtet, würde man diese Menschen jedoch vielleicht ganz unterschiedlich einstufen.

  1. ana.akazi ist ein toller Name hinter dem sicherlich auch eine schöne Geschichte steckt – verrätst Du sie?

„ana“ bedeutet Frauen und „akazi“ bedeutet Kinder auf Chichewa, eine Sprache die in Malawi gesprochen wird. 2011 durfte ich für ein Jahr den Alltag einer Grundschule für Waisenkinder begleiten und habe noch immer einen engen Kontakt dorthin. Ich spende einen festen Teil meiner Einnahmen dorthin. In enger Absprache mit dem Schulleiter werden speziell Kinder gefördert, die sonst nicht in der Lage wären zur Schule zu gehen, Transporte in Krankenhäuser organisiert oder ähnliches.

Behinderung oder irgendeine Form von Beeinträchtigung, haben in Malawi eine essentielle Auswirkung auf dein Leben und deine Familie. Die Teilhabe im Alltag, ist dadurch oftmals massiv eingeschränkt. Damit auch die Möglichkeit einem Beruf nachzugehen, Geld zu verdienen, um wiederum eine Familie zu ernähren. Kinder hindert eine körperliche Beeinträchtigung daran zur Schule zu gehen oder soziale Kontakte auszubauen. Oftmals sind es Kinder, die kognitiv in der Lage wären eine Schule zu besuchen, es ihnen aber aufgrund von motorischen Einschränkungen nicht möglich ist.

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Krankheitserklärung eine andere ist. Warum Kinder mit Behinderungen zur Welt kommen, wird oftmals nicht erklärt mit genetischen Faktoren oder Komplikationen während der Schwangerschaft und Geburt. Sondern mit Magie, Zauberei und vielen externen Faktoren, weshalb die betroffenen Menschen oftmals einen Ausschluss aus der Gesellschaft erleben.

Mit den Spenden sollen deshalb neben Unterstützung der medizinischen Versorgung auch kleinere Community Events organisiert werden um über Behinderung im Dorf aufzuklären.

Wir danken Lena von Herzen, dass sie mit uns Einblicke und Perspektiven aus ihrer Arbeit bei ana.akazi geteilt hat. Wer sich gerne näher mit dem Thema beschäftigen möchte, der findet Lena hier:

Kontaktdaten:

Instagram: lena.b.yoga
Webseite: https://www.anaakazi.de/
E-Mail: lena.braun@anaakazi.de

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